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Schutz für gefährdete Flüchtlinge

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Was wir die letzten Monate tagtäglich lesen, sehen und vor Ort miterleben, ist schwer in Worte zu fassen. Menschen legen mit dem Mut der Verzweiflung Tausende Kilometer unter schwierigsten Umständen zurück, um Schutz zu finden. Unter ihnen sind unbegleitete Kinder, junge Männer, Frauen und Familien mit Kindern – Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen und dafür sogar ihr Leben riskieren.

Trotz der großartigen Hilfsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger vor Ort müssen wir aber feststellen, dass wir am Rande des Machbaren arbeiten und dass eigentlich selbstverständliche Standards momentan nicht überall eingehalten werden können. Unsere Ansprüche, wie wir als Gesellschaft zusammenleben wollen, dürfen wir aber nicht senken. Ein wichtiger Anspruch muss es sein, trotz der Ausnahmesituation und der überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen und Flüchtlingsheime die besonders Schutzbedürftigen nicht aus den Augen zu verlieren; das sind Frauen, Kinder – das ist heute mehrfach gesagt worden –, aber auch Menschen mit Behinderungen, Homosexuelle und andere Gruppen.

Sicherheit – darauf müssen alle Menschen in unserem Land vertrauen können. Wir haben eine menschenrechtliche Verpflichtung zum Schutz vor Gewalt, auch in Flüchtlingsunterkünften. Ich begrüße deshalb die Forderungen im Antrag; denn die Schaffung eines gewaltfreien und sicheren Umfelds, gerade für die Schutzbedürftigen, hat hohe Priorität.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kulturelle Hemmnisse, mangelndes Wissen über Rechte und fehlende Informationen in verständlicher Sprache sind ein großes Problem. Unkenntnis und Unsicherheit führen dazu, dass sich viele nicht trauen, Hilfe zu suchen. Die Sorge, das Asylverfahren eventuell negativ zu beeinflussen, ist sehr groß.

Deutschland ist durch die EU-Aufnahmerichtlinie dazu verpflichtet, in den Flüchtlingsunterkünften geschlechts- und altersspezifische Aspekte zu berücksichtigen und geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen. Eine Umsetzung der Richtlinie ist längst überfällig. Ich begrüße, dass die Richtlinie im Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems enthalten ist und dieser sich unter Federführung des BMI aktuell in der Ressortabstimmung befindet. Nach meiner Kenntnis soll es noch in diesem Jahr in Angriff genommen werden. Der Gesetzentwurf sieht weiterhin vor, Erstaufnahmeeinrichtungen der Heimaufsicht zu unterstellen. Damit gelten die Schutzstandards der Kinderund Jugendhilfe, welche bisher durch das Asylverfahrensgesetz ausgeschlossen sind; eine wichtige Änderung, die wir sehr begrüßen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Länder sind schon jetzt aufgefordert, geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen, damit Übergriffe und Gewalt, einschließlich sexueller Übergriffe, verhindert werden. Die Bundesfamilienministerin hat deutlich gemacht, dass jeder Fall von Gewalt, Kindesmissbrauch und Vergewaltigung einer zu viel ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Sie appelliert an die Länder, sich dem Thema entschlossen anzunehmen.

Die Checkliste mit Mindeststandards des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs enthält hierzu viele wichtige Forderungen. Sie sind heute schon mehrmals erwähnt worden, aber einige möchte ich doch erwähnen: eine separate Unterbringung von alleinerziehenden Müttern mit ihren Kindern, nach Geschlechtern getrennte Duschen und eine höhere Sensibilisierung der haupt- und ehrenamtlichen Helfer. Diese präventiven Maßnahmen gilt es zügig in den Unterkünften umzusetzen und nicht erst, wenn Verdachtsfälle auftreten.

 Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung zu dem, was wir am vergangenen Wochenende zum Thema Familiennachzug erleben mussten. Ja, die Debattenkultur gehört untrennbar zur Demokratie, und man muss sich auch einmal streiten, um dann eine gemeinsam vertretbare Position zu finden. Aber man sollte zuerst untereinander darüber reden, welche Haltung man vertritt. Was wir erleben mussten, war unprofessionell und unwürdig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir haben nicht das Recht, Familien auseinanderzurei- ßen. Sie werden durch diese Beschränkung die Familien auch nicht davon abhalten, zueinanderzukommen. Dieser Vorschlag zwingt gerade die Schutzbedürftigsten in die Boote, und das sind – auch das ist heute mehrmals erwähnt worden – die Frauen und Kinder.

(Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Genau!)

Klar ist: Asyl ist ein Menschenrecht, an dem wir nicht rütteln dürfen. Die syrischen Flüchtlinge, die zu uns kommen, haben ein Recht auf Asyl, sie haben das Recht, ihre Familien zu holen und damit in Sicherheit zu bringen. Was würde man selbst in einer solch verzweifelten Situation tun? Diese Frage muss sich jede und jeder immer wieder selber stellen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten Wochen habe ich oft gedacht: Was geht es uns doch gut! Wir sollten uns jeden Tag glücklich schätzen, in Frieden und Freiheit leben zu dürfen. – Deutschland hat große Verantwortung auf sich genommen. Der Aufgabe, die vor uns liegt, müssen wir uns als Gesellschaft gemeinsam stellen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das trotz aller Schwierigkeiten am Ende hinbekommen, Schritt für Schritt. Ein Schritt ist: die Verbesserung der Lebensbedingungen. Diese müssen stimmen, sowohl für die, die noch zu uns kommen, als auch für die, die schon hier sind.

Die Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie darf nicht weiter auf Kosten der Schutzlosesten verzögert werden, sondern muss zügig erfolgen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)